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SES

Li Di in der Aikang-Schule

In meinen ersten Mailkontakte mit der Schule wurde ich mit Laerfudimu angeschrieben und in Changsa auch so angesprochen. Da bin ich Opfer einer Übersetzerapp geworden. Kurzerhand bat ich um einen chinesischen Namen und werde nun Li Di genannt. Ist für alle leichter.

Seit heute werde ich mit Professor angesprochen. Mit der Funktion einer Seminarleitung kann man hier nichts verbinden. Ob ich an einer Universität Seminare gehalten hätte? Das habe ich bestätigt und versucht, die Funktion eines Lehrauftrags zu erläutern. Auch dies ging schief. Wer an einer Universität tätig war, kann nur Professor sein!!!! Womöglich werde ich  für das Renomme der Schule absichtlich so geführt. Wer weiß. Schließlich bin ich auch dafür da. 

Heute mein Besuch in der von meinem Hotel benachbarten Schule für ältere Kinder mit Behinderung. Wie beschrieben, erreicht man die Schule über einen Supermarkt im ersten und 2. Stock des Hochhauses. 

Das große bunte Schild ist das Schulschild. Die Chinesen lieben bunte Schulschilder!

Natürlich gab es wieder Fotosessions mit einzelnen Lehrerinnen, wobei die erste locker sich äußerte, es sei ihr Wunsch immer schon gewesen, mit einem Ausländer fotografiert zu werden. Gesagt getan und schon gab es ein „wo ai ni“, ein „ich liebe oder mag dich!“

Nach Hospitationen und der gemeinsamen Planung meines Einsatzes (darüber berichte ich später wenn der Plan steht) war wieder Essen angesagt Ich bin mitten in einem Abenteuer!  Nina, ihr kleiner Sohn, Bruce und ich besuchten ein Restaurant, in dem einem Fondue ähnlich Unterschiedliches in heißer scharfer oder nur leicht gewürzter Soße gegart wird. Dazu holt man sich aufgespießtes Essen (natürlich fehlen die Hühnerbeine nicht) und taucht dies in die Brühe. Bezahlt wird nach Anzahl der Stäbchen. Ich konnte mich durchsetzen und die Bezahlung übernehmen. Gerade mal 35 € für 3 Erwachsene und Kind samt Getränke.

Bevor ich über China allgemein berichte, hier Bilder aus dem Restaurant:

Wer erkennt die Hühnerbeine?

China allgemein

Das Schicksal meines Dolmetschers ist bezeichnend für viele nicht verheiratete Männer: Sie haben nur eine Chance auf eine Ehefrau, wenn Sie ein Haus, eine eigene Wohnung, ein Auto und Geld haben. „Better cry in a BMW than lough on a BIke“ ist die Devise junger Frauen. Die Ein-Kind-Politik sorgte dafür, dass Mädchen abgetrieben wurden, da traditionell Frauen in das Elternhaus des Mannes ziehen und für diese im Alter sorgen. Jungs mussten also geboren werden und deshalb ist die Zahl an Männern heute höher als die der Frauen. Bruce steht unter Druck seiner kranken Mutter, die ihn drängt, endlich zu heiraten, damit sie vor ihrem Tod noch sein Enkelkind sehen kann.

Geld spielt eine zentrale Rolle. Mit Neid wird jeder bedacht, der mehr hat. Mit Freude wird Reichtum - und sei es nur ein Iphone - zur Schau getragen. Jack und Nina haben sich zum Beispiel ein Auto gegönnt und schon heißt es, sie würden Schule nur betreiben, um Profit zu machen. 

 

Sonderpädagogik

In der Schule werden neben Kindern mit Autismus und geistiger Behinderung eine kleine Gruppe Schwerhöriger mit Hörgeräten versorgt und ein Schüler mit Cochleaimplantat.

4 Kinder, deren Eltern in einer anderen Stadt arbeiten, übernachten in der Schule. Sie sehen ihre Eltern nur an Wochenenden. In ärmeren Gegenden (Hunan gehört dazu) werden etliche Kinder von Großeltern aufgezogen.

Auch heute Hospitationen. Sowohl die Beschaffenheit der Räume (hohe Wände, kein Teppichboden) wirken schallverstärkend. Hinzu kommen die sehr lauten Stimmen der Lehrerinnen, die mit dafür sorgen, dass die Schüler ebenso laut rufen. Ich würde da keinen Tag aushalten wollen.

Hier ein paar Eindrücke von innen:

Ein unheimlich bürokratisches System der Förderplanung erfordert von jeder Lehrkraft eine wöchentliche Einschätzung des Leistungsstandes. Die Items bis zum Alter von 6 Jahren sind behördlich vorgegeben und gelten für jeden Schüler. Eine individuelle kurz-, mittel- und langfristige Zielsetzung komnnte ich nicht feststellen. Der Schulleitung ist bewusst, dass diese Formalie behördlich gewollt ist. Sie sehen allerdings bei der Einführung junger Kolleginnen in den Skalen eine Hilfe. Bewertet wird mit den Ziffern 1-5, wobei 5 die beste Leistung betrifft.

Einen Auszug von ca. 30 Seiten für einen Schüler könnt Ihr hier sehen:

 ABA (Applied Behavior Analysis), eine Form der Autismusintervention, die in den USA sehr verbreitet ist, spielt in dieser Schule eine große Rolle. ABA ist ausgesprochen behavioristisch ausgerichtet, sehr strikt und deshalb in Deutschland umstritten. ABA wurde in den letzten Jahren durch VB (also ABA/VB) ergänzt. VB = verbal behavior. Wesentlicher Bestandteil ist über Motivation (von Token bis zu materiellen Verstärkern über reizvolle Aktivitäten bis hin zum Pairing mit den Lehrenden), die Schüler zu neuem Verhalten anzuleiten. In Deutschland würden wir böswillig von Dressur sprechen - die Erfolge, die bei früher Intervention erreicht werden, sind beachtlich. Im ESE-Bereich arbeiten wir ähnlich. 

Vor meiner Abreise habe ich mich intensiv mit ABA/VB befasst. Meiner Meinung nach können mit dieser Methode Familiensituationen enorm entlastet werden, wenn man problematisches Verhalten, das alle Personen über Gebühr belastet, reduzieren kann. Auf Youtube sind beeindruckende Beispiele zu finden. 

ABA/VB ist auf die Mitarbeit der Eltern angewiesen. Das dürfte hier ein besonderes Problem sein! Es gibt nicht nur die Vorstellung, geistige Behinderung und Autismus sind heilbar. Nein, es gibt gar Angebote von Heilern, denen die Eltern auf den Leim gehen! 

Ob es wirklich keine Medizin gegen Autismus und geistige Behinderung gibt und ob introvertierte Menschen krank seien wurde ich heute gefragt!

@ Sabine: Es gibt keinerlei Möglichkeit, Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt zu vermitteln. Ausnahme: Ein Schüler der Aikang-Schule konnte als Autowäscher vermittelt werden.

 

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